Protagramm

 

 

Protagramme für Heldinnen, Prinzessinnen und Bösewichte

Das Kunstwort Protagramm setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern protagonistés (Protagonistin/Hauptfigur) und gramma (Geschriebenes, Buchstabe) zusammen. Es bezeichnet ein von mir entwickeltes, auf psychologischen Theorien beruhendes Konzept zur Beschreibung – besser – der Entwicklung von Romanfiguren.

Ein Roman, den man nicht aus der Hand legen kann, lebt von Protagonistinnen1, die durch tiefe, komplexe Charaktere gezeichnet sind und authentische Handlungen setzen. Wir verfolgen die Geschichte einer Heldin deswegen gespannt, weil sie nicht klischeehaft agiert, sondern gemäß ihrer individuellen, psychischen Struktur. Sie kämpft für ihre Ideen und Wünsche, wofür sie so manchen inneren Konflikt durchstehen und äußere Widerstände überwinden muss. Dadurch können die Leserinnen Empathie mit dieser Heldin empfinden – eine wichtige Voraussetzung, um die Leserinnen an die Geschichte zu binden.

 

Wozu nutzen Protagramme?

Da Protagonistinnen umso kraftvoller agieren, je differenzierter wir sie in unseren Köpfen erschaffen, beginnt die Erstellung des Protagramms bereits in der Kindheit und Jugend der Protagonistinnen: In verschiedenen Entwicklungsphasen werden alle wesentlichen Persönlichkeitseigenschaften angelegt, die das Denken, Verhalten und Erleben der Figur im Erwachsenenalter prägen. Das Beziehungsmilieu der Protagonistinnen wird analysiert, die Traumen und stärkenden Erlebnisse bestimmt, die einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Figur haben. Damit sind die wichtigsten Variablen festgelegt, aus denen abgeleitet wird, nach welchen Geboten und Verboten die Protagonistinnen in der Gegenwart handeln und was sie antreibt. Es wird deutlich, welche Sehnsüchte sie lenken, welche Defizite und Verletzungen der Erfüllung ihrer Wünsche im Weg stehen, und wie es gelingen kann, diese am Ende vielleicht doch noch zu verwirklichen.

Tipp: Protagramme für Bösewichte und Schurkinnen

Bei der Gestaltung des Plots kann es passieren, dass sehr viel Energie und Zeit in die Ausarbeitung der Protagonistinnen fließt und auf die Antagonistinnen vergessen wird. Doch gerade die Bösewichte und Schurkinnen näher zu betrachten, sie nicht in das Klischee-Eck zu stellen und mit dem Label „böse“ zu versehen, kann eine Geschichte sehr bereichern. Bösewichte sind Menschen mit einer bewegten und bewegenden Biografie, die nur in den seltensten Fällen mit einem sadistischen Gehirn und einem genetisch determinierten Hang zur Gewalt geboren werden. Gerade hier lohnt sich ein Blick in ihre Vergangenheit, um sie plastisch herauszuarbeiten und differenziert agieren zu lassen. Besonders anspruchsvolle Leser werden es zu schätzen wissen, wenn Ihre Bösewichte ebenso eine Entwicklung in Ihrem Roman durchmachen und sie damit immer wieder überrascht werden.

1 Um eine leichtere Lesbarkeit zu gewährleisten, schreibe ich ausschließlich in der weiblichen Form. Selbstverständlich sind Männer ebenso angesprochen.